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Wie man (nicht) mit Fundamentalisten argumentiert

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Zu Geert-Lueke, Lueken „Wie man (nicht) mit Fundamentalisten diskutiert... Zur "subversiven Kritik" Hubert Schleicherts“

Luecken[1] untersucht in seinem Zeitschriftenartikel Schleicherts Überlegungen im Hinblick auf das Problem, ob und wie ohne eine geteilte Argumentationsbasis argumentiert werden kann. Er bezeichnet Schleicherts Überlegungen hierzu als eigentümlich und inkohärent. Im Hinblick auf Schleicherts Buch sagt Lueken, es handle sich um einen philosophischen Bestseller der die Umrisse einer Argumentationstheorie, sowie einer Vielzahl typischer Argumentationsmuster beinhaltet.

Um Schleicherts Konzept, die Subversive Argumentation richtig zu verstehen, müsse man nach Lueken zunächst wissen, wie Schleichert Fundamentalismus definiert. Ein Fundamentalist sei nach Schleichert jemand der glaubt die Wahrheit zu kennen. Zudem glaube der Fundamentalist durch eine höhere Gabe, Gewalt zur Durchsetzung dieser Wahrheit legitimieren zu dürfen. Somit steht nach Schleichert Fundamentalismus im Gegensatz zu Toleranz. Jedoch sei es innerhalb der religiösen oder ideologischen Rahmen durchaus möglich, dass fundamentalistische Argumentationen durchaus rational und schlüssig sein können.

Die Unterscheidung zwischen „Standardfall“ und „Non-Standard-Fall“ ist für Lueken ein wichtiger Teil von Schleicherts Konzept.

Der Standardfall ist positivistisch. Das bedeutet ihre These ergeben sich logisch zwingend aus ihren Argumenten die bereits akzeptiert worden sind. Diese bilden eine Argumentationsbasis und sind die Voraussetzung für eine Argumentation. Die Argumentationsbasis kann hier auch als gemeinsame Quelle der Argumentierenden verstanden werden.

Im Non-Standard-Fall gibt es keine hinreichende gemeinsame Argumentationsbasis. Dies führt in der Regel zum Zusammenbruch der Argumentation, oder es ist gar keine wirkliche Argumentation möglich. Obwohl hier Prinzip gegen Prinzip steht versuchen Menschen oft dennoch solche Argumentationen auszutragen. Dafür gibt es nach Schleichert vier Gründe.

Die vier Wege der Argumentation im Non-Standard-Fall

  1. Möglichkeit ist, dass die Menschen argumentieren, da sie die Situation überschätzen. Sie denken die Gegenseite doch noch überzeugen zu können.
  2. Möglichkeit ist, dass die Menschen sich auf das Prinzip beschränken, die Gegenseite zu negieren. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob das dann überhaupt eine Argumentation ist.
  3. Möglichkeit finden die Menschen durch "interne Kritik" doch noch eine gemeinsame Argumentationsbasis. Hierzu wird die Grundannahme der Gegenseite akzeptiert und auf andere Weise interpretiert. Es wird dann versucht die Grundannahme der Gegenseite zu widerlegen, indem Wiedersprüche gefunden werden. Es liegt hier jedoch keine echte Akzeptanz, sondern nur die Vortäuschung einer Akzeptanz vor. Während die interne Kritik interpretieren möchte, beharrt der Fundamentalist auf den wörtlichen Sinn der heiligen Schrift.
  4. Möglichkeit ist die subversive Argumentation. Für diese ist nicht unbedingt eine logisch zwingende Argumentation notwendig. Ihr Ziel ist es die Ideologie der Gegenseite durch aufzeigen von negativen Beispielen zu untergraben. Für die Interpretation gibt es hier aber meist keine objektiven Kriterien, was zu einer endlosen Argumentation führen kann.

Sie kann den Fundamentalisten jedoch in einen Misskredit bringen. Indem sie die schrecklichen und peinlichen Folgen, sowie die Grausamkeiten aufzeigt, die sich aus der jeweiliger Ideologie ergeben (können). Das Problem ist hierbei jedoch, dass der Fundamentalist sich höchstwahrscheinlich von diesen Argumenten nicht beeindrucken lässt. Schleichert empfiehlt hier daher, die Adressierung der Argumente nicht an den Fundamentalisten selbst, sondern an ein Publikum zu richten, welches nicht so ideologisch ist wie der Fundamentalist. Die Subversive Strategien variieren hier dann mit dem Grad der öffentlichen Akzeptanz des Fundamentalisten in dem jeweiligen Publikum.

Nach Lueken sind in Schleicherts Konzept einige Ungereimtheiten aufzufinden. Diese benennt er in Form von 3 begrifflichen Problemen.

  1. begriffliches Problem: dass Schleichert immer wieder die positivistische Lehre verkündet. Diese schließt Argumentationen ohne vorhandene Argumentationsbasis aus. Schleicherts Lösungsweg für eine Argumentation mit Fundamentalisten, die Subversive Argumentation, wäre somit eigentlich keine richtige Argumentation. Es stellt sich somit die Frage, ob Schleichert ein mehrdeutiges Verständnis von Argumentation hat und es zwei verschiedene Arten von Argumentation für ihn gibt. Konklusive mit gemeinsamer Basis und nicht konklusive ohne gemeinsame Argumentationsbasis. Fest steht jedoch nach positivistischem Argumentationsbegriff sind subversive Strategien keine Argumentation!
  2. begriffliche Problem: Gebrauch des Wortes fundamental, Fundamentale Überzeugungen seien als subjektive Prinzipien zu verstehen, da sie für die Argumentierende unrevidierbar sind. Die fundamentalen Prinzipien würden durch Erziehung weitergegeben werden. Somit ginge es bei der Subversive Argumentation darum, eine Korrektur der "Erziehung" vorzunehmen.
  3. begriffliche Problem: Die Unterscheidung zwischen interner und externer Diskussion. Diese ist wichtig für die Unterscheidung zwischen interner Kritik und subversiver Argumentation. Wie zuvor erwähnt werden bei der interne Kritik die Prinzipien des Fundamentalisten vorgeblich oder tatsächlich akzeptiert, aber auf andere Weise interpretiert. Bei der Subversive Argumentation wiederum kann die vorgetäuschte Akzeptanz auch eine Strategie sein.

→Daraus entsteht die Frage wie unterscheiden wir nun zwischen interner Kritik und einer subversiver Argumentation, die sich als intern Kritik verkleidet?

Aus diesen Ungereimtheiten heraus kommt Lueke zu der ablehnenden Haltung gegenüber Schleicherts Konzept. Er begründet dies wie Folgt: Der Opponent würde von Schleichert nicht als gleichberechtigter Partner anerkannt werden, indem die eigene Hintergrundüberzeugungen versteckt und immunisiert werden. Eine wirkliche Argumentation sei dadurch nicht möglich. Zudem stelle Schleichert es so dar, als sei der, der jedes Wort der Bibel wörtlich nimmt ein Fundamentalist. Das würde implizieren, dass das wahre Gesicht des Christentums Fundamentalismus wäre. Die Karikatur des Christentums als Fundamentalismus ist aus Luekens Sicht überzogen und zeigt die Dogmatik und Intoleranz radikaler Atheisten und Religionskritiker die an dieser Stelle selbst zu Fundamentalisten werden. Lueken schlägt vor, Schleicherts Überlegungen so zu interpretieren, dass die begrifflichen Inkohärenzen Sinn machen und führt hierzu eine Interpretationshypothese auf. Aus dieser geht hervor, dass Schleichert die begrifflichen Ungereimtheiten möglicherweise bewusst produziert hat und sein Buch somit als Musterbeispiel subversiver Argumentation zu lesen wäre. Selbst wenn dies nicht Schleicherts Intention war empfiehlt Lueken das Buch in diese Richtung zu lesen. Man solle annehmen, dass Schleichert vor gibt den positivistischen Argumentationsbegriff zu teilen mit der Absicht die Prinzipien der vorherrschenden Doktrin nicht offen zu negieren und um den Leser durch Ironie zu zeigen, was passiert wenn man im Non-Standard-Fall vom positivistischem Argumentationsbegriff ausgeht. Er stellt also eine unrevidierbare These A auf und negiert diese mit einer weiteren unrevidierbaren These B ohne dies offen auszusprechen.

Wie diskutiert man den nun mit Fundamentalisten und wie diskutiert man nicht mit ihnen?

In Luekens Gegenentwurf finden wir darauf folgende Antwort: Lueken geht davon aus, dass jeder Mensch eine individuelle Sichtweise besitz. Er spricht hier von sogenannten Rahmen. Erst wenn verschiedene Rahmen aufeinander treffen, kann man erkennen was außerhalb des eigenen Rahmens liegt. Nehmen wir an eine Person sieht einen Baum als einen heiligen Ort an und ist überzeugt von dessen übermächtigen Kräften. Diese Person wird davon ausgehen, dass es selbstverständlich ist den Baum so zu betrachten. Erst wenn ein Biologe/ eine Biologin der Person die biologische Zusammensetzung des Baums erläutert wird sie den Baum aus einer anderen Perspektive betrachten können. Die Argumentationsbasis steht somit nicht zwingend fest, sie wird im Argumentationsprozess bearbeitet oder erarbeitet. Argumentieren wird von Lueken als Ausdruck unserer Rahmen verstanden und zeigt uns die Grenzen und Alternativen unserer Rahmen.

Nach Lueken gibt es nun drei Schritte des Argumentierens ohne gemeinsame Basis

  1. Die Anerkennung der Rahmendifferenz. Distanzierung von der Annahme, dass der eigene Rahmen selbstverständlich ist.
  2. Die Bemühung fremden Rahmen zu erforschen und zu verstehen. Nicht nur die einzelnen Sätze, sondern das ganze System. Denn Lern- und Verstehensprozesse sind wesentlich für argumentative Auseinandersetzungen.
  3. (der schwierigste Schritt): Der Versuch der "partiellen" Integration differierender Rahmen. Inkompatible Thesen können zu kohärente Thesen werden.


  1. Lueken, Geert-Lueke, Wie man (nicht) mit Fundamentalisten diskutiert …, Zur ,subversiven Kritik' Hubert Schelicherts, in: Dialektik, Zeitschrift für Kulturphilosophie, (2000/1), S. 149-160.​