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Benn

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Benn, Kleine Aster

Sarah

Das expressionistische Gedicht „Kleine Aster“, welches von Gottfried Benn verfasst und im Jahre 1912 veröffentlicht wurde, thematisiert die Nichtigkeit des Menschen bezüglich des derzeitigen Ich-Verlusts.

Das Gedicht beginnt mit dem Titel „Kleine Aster“, welcher direkt zu Beginn die darin benannte Herbstblume in den Vordergrund rückt. Auffallend ist hier jedoch besonders das verniedlichende Adjektiv „klein“, welches die Blume als etwas schutzloses darstellt. Da hier in diesem Kontext kein Artikel verwendet wird, klingt der Titel nahezu schon wie ein Name, der die Blume indirekt vermenschlicht, weshalb bereits hier eine emotionale Atmosphäre bezüglich der Blume entsteht. Jedoch stellt die Tatsache, dass die Aster eine Herbstblume ist, auch voran, dass das Gedicht die Thematik der Vergänglichkeit beinhaltet, da der Herbst auf metaphorische Weise für eben diese steht. In diesem Kontext setzt der erste Sinnabschnitt des Gedichtes (V. 1-3) mit den Worten „Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt“(V. 1) ein. Somit bestätigt der Vers den Titel in seiner Bedeutung, indem es hierbei um Tod und Vergänglichkeit geht. Dass eben diese Vergänglichkeit allgegenwärtig ist und somit in jedem steckt, wird im unbestimmten Artikel „Ein“(ebd. ) deutlich, der zugleich zeigt, dass ein einzelnes Individuum keinen Wert hat. Somit sei die ertrunkene Person, die beruflich Bier transportiert und ausliefert, eine willkürliche Person aus einer Masse von Menschen. Diese Sicht des lyrischen Ichs, die jedoch in der Epoche des Expressionismus viele vertraten, wird hier durch eine gewisse Brutalität der Ausdrucksweise deutlich. Eben diese zeigt sich in diesem Vers exemplarisch am Adjektiv „ersoffen“(ebd. ), welches anstelle von ertrunken genutzt wird und so den umgangssprachlichen Ausdruck im Gesamtgedicht akzentuiert. Eben diese Ausdrucksweise, die gewissermaßen brutal und skurril wirkt, setzt sich in den Worten „wurde auf den Tisch gestemmt“(ebd. ) fort. Hierbei wird eine eher emotionslose Atmosphäre vermittelt, indem pietätlos mit der Leiche während der Obduktion umgegangen wird. Eben diese vermittelte Emotionslosigkeit stellt eine Antithese zum Titel dar, die den Menschen als nichtig und die Blume im Kontrast als etwas sehr Emotionales, Lebendiges darstellt. Diese Kontrastierung setzt sich auch im zweiten und dritten Vers fort, welcher die kleine Aster erstmals im Gedicht aufgreift. Besonders wird dabei in „Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster/ zwischen die Zähne geklemmt“(V. 2 f. ) die Blume erneut in den Vordergrund gerückt, was auch der Zeilensprung unterstreicht, durch welchen der zweite Vers mit der „Aster“(ebd. ) endet. Diese wird durch den paradoxen Neologismus „dunkelhelllila“(ebd. ) beschrieben, wobei die Farbe lila im Allgemeinen für Trauer oder im christlichen Sinne auch für ein Begräbnis steht, was sich auf den Fortgang des Gedichts bezieht. Jedoch deutet eine Wortneufindung bezüglich der Aster insgesamt auch auf etwas ungewohntes oder vielleicht auch unnatürliches hin, was auf den hohen Wert der Aster im Vergleich zur Nichtigkeit des Menschen verweist. Genau diese Nichtigkeit zeigt sich dabei auch noch einmal im Indefinitpronomen „Irgendeiner“(ebd. ), welches einen möglichen Täter verallgemeinert und diesen somit auch als nichtig dastehen lässt, als sei alleinig die Blume von Bedeutung. In diesem Zusammenhang steht die Blume dabei antithetisch zum toten Menschen, für das Leben und somit auch für Hoffnung. So verleiht die Blume dem Hässlichen des Todes auch eine gewisse Ästhetik, die jedoch eine alberne, skurrile Wirkung beinhaltet, die jedoch typisches Merkmal des Expressionismus ist. Eine derartige Skurrilität wird auch daran deutlich, dass die Aster der Leiche „zwischen die Zähne geklemmt“(V. 3) war, was eher an einen Verführer als an einen Todesfall erinnert. Zugleich wird so jedoch auch die Sicht des lyrischen Ichs deutlich, der die Menschen als nichtig und vielleicht sogar schlecht ansieht, die Blume und die Natur dahingegen jedoch als Opfer der Menschen dastehen lässt, sodass dieser nach Meinung des lyrischen Ichs mehr Würde gebührt. Besonders wird dies auch nochmal am Reim in den Worten „gestemmt“(V. 1) und „geklemmt“(V. 3) deutlich, da diese den Menschen selbst und den Umgang mit diesem als emotionslos darstellen.

Der zweite Sinnabschnitt (V. 4-12) befasst sich mit der Obduktion der Leiche und akzentuiert so noch einmal besonders den pietätlosen Umgang mit einem Menschen. So schildert das lyrische Ich die Situation mit den Worten „Als ich von der Brust aus/ unter der Haut/ mit einem langen Messer/ Zunge und Gaumen herausschnitt,/ muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt/ in das nebenliegende Gehirn“(V. 4 ff. ). Insgesamt klingt hier eine gewisse Routine an, die andeutet, dass das lyrische Ich Pathologe ist und der Einzelfall des Ertrunkenen für ihn keine Rolle spielt. Eben diese Routine wird besonders an der Konjunktion „Als“(ebd. ) sowie der emotionslosen sachlichen Schilderung deutlich. Zu dieser Sachlichkeit trägt besonders auch die Verwendung des Präteritums bei, die die ersten Sinnabschnitte wie einen Bericht wirken lässt. In diesem sprachlichen Kontext fällt zugleich auf, dass weder Metrum, noch Reimschema vorhanden sind, was eher untypisch für die Epoche ist. Jedoch dient dies der berichtenden Darstellungsweise, in der im Normalfall keine Aspekte der Kunst wie auch Metrum usw. inbegriffen sind. Jedoch deutet die allgemeine berichtende Sprache auch eine gewisse Fremde an, die das lyrische Ich zum Menschen hat, wodurch erneut die Nichtigkeit des Menschen deutlich wird. Hierbei spiegelt das lyrische Ich jedoch das Denken vieler Menschen im frühen zwanzigsten Jahrhundert wieder, die Individuum und vor allem Persönlichkeit als unwichtig und in gewissem Maße auch unwürdig ansahen. Um diese Sichtweise zu vermitteln, schildert das lyrische Ich seine Vorgehensweise im Enjambement erneut brutal, was zum Beispiel am Nomen „lange[s] Messer“(V. 6) oder aber am Verb „herausschneiden“(V. 7) deutlich wird. Im Kontrast zu alledem steht letztlich erneut die Aster, welche ins Gehirn „glitt“(Z. 8). Hier fällt besonders in der Wortwahl und im antithetischen Reim von „schnitt“(V. 7) und „glitt“(V. 8) die Beschönigung der Aster auf, die das lyrische Ich gewissermaßen zu beschützen versucht, während er den Menschen brutal auseinandernimmt. Diese Kargheit wird auch noch einmal in den Worten „glitt/ in das nebenliegende Gehirn“ (V. 8 f. ) ausdrücklich, da das hier schon entnommene Organ des Menschen, das seine gesamte Persönlichkeit ausgemacht hat, als Objekt beschrieben wird und somit erneut nichtig wirkt. Der Text dreht also gewissermaßen die Rollen um, indem er jegliche Emotionalität und vor allem auch das Mitempfinden des lyrischen Ichs auf die Aster überträgt. Dies wird auch in der Vermutung des lyrischen Ichs „muß ich sie angestoßen haben“(V. 8) deutlich, indem es diese Tat unbewusst und unabsichtlich tut, während es den Menschen absichtlich und ohne Rücksicht obduziert. Die Situation spitzt sich jedoch in den folgenden Versen noch weiter auf die Vermenschlichung der Blume zu. So geht das Gedicht mit den Worten „Ich packte sie ihm in die Brusthöhle/ zwischen die Holzwolle“(V. 10 f. ) weiter. Diese Situation erinnert an eine Art Beerdigung, welche die Blume noch einmal stärker vermenschlicht und die Wertlosigkeit des Menschen selbst verringert, indem dieser als Grab dient. Gewissermaßen lassen sich hierbei auch Parallelen zur derzeitigen Industrialisierung erkennen, indem die Menschen durch diese einen Teil der Natur zerstörten, weshalb hier gewissermaßen der Mensch als Grab für die Blume, als Repräsentant der Natur, dient. Besonders stärkt dabei die Tatsache, dass das lyrische Ich die Blume „in die Brusthöhle“(V. 10) tut diesen Aspekt, da die Blume somit als eine Art Lebensantrieb für den Menschen an Stelle seines Herzens dargestellt wird, den nur die Natur bietet. Die Holzwolle, ein Baumaterial, mit welchem früher Kuscheltiere und Leichen ausgestopft wurden, kann man dabei bildlich als eine Art Erde oder Sarg sehen. Diese sehr bildlich dargestellte Situation endet damit, dass er die Blume „beerdigte“ „als man zunähte“(V. 12).

Der dritte und somit letzte Sinnabschnitt setzt mit dem Ausruf „Trinke dich satt in deiner Vase!“(V. 13) ein, welcher die Aster schlussendlich personifiziert, indem das lyrische Ich diese im Reflexivpronomen „dich“(ebd. ) wie einen Freund anspricht. Besonders stellt dabei das „Trinken“(ebd. ) eine symbolische Personifikation dar, indem sich die Blume vom Menschen nähren soll, wie es eigentlich der Mensch von der Natur tut. Somit dreht das lyrische die Rollen von Mensch und Pflanzen um, wodurch er den Pflanzen erheblichen Wert zuspricht und die Menschen als nichtig erklärt. In diesem Kontext nennt es den Menschen metaphorisch eine „Vase“(V. 13), wodurch es den Menschen objektiviert. Besonders weist zudem auch der Tempuswechsel ins Präsenz von der Nichtigkeit des Menschen, indem nun eine Nähe oder Unmittelbarkeit zur Blume geschaffen wird, die emotionaler wirkt und so den Mensch als etwas Fernes, Irrelevantes in den Hintergrund rückt. Zuletzt spitzt das lyrische Ich diese Bedeutsamkeit der Natur im Kontrast zur Unbedeutsamkeit des Menschen mit den Worten „Ruhe sanft,/ kleine Aster!“(V. 14 f. ) zu, indem er der Blume eine Art Grab und Beerdigung schafft und den vor sich liegenden Menschen dabei nur als eine Art Mittel zum Zweck ansehen, also als das, als das die Menschen die Natur ansehen. Hierbei akzentuiert es jedoch zugleich die Vergänglichkeit aller Dinge, wobei das lyrische Ich der Vergänglichkeit der Natur wesentlich mehr Wert zuspricht, wodurch sich auch seine Trauer erklären lässt.

Zusammenfassend stellt das Gedicht die Nichtigkeit eines Individuums und der Persönlichkeit im frühen 20. Jahrhundert dar, die unter anderem durch die Industrialisierung bedingt war. Eben diese Nichtigkeit wird besonders im groben Umgang mit der Leiche im Gedicht verglichen zum Umgang mit der Aster, aber auch in der eher berichtenden Sprache deutlich. Dass die Natur eine wesentlich größere Rolle spielt, wird anhand der Vermenschlichung der Blume deutlich, indem diese durch sehr bildhafte Sprache als schutzlos dargestellt wird, während der Mensch keinerlei Beachtung erhält.